Rapper, Produzent, Popstar, Schauspieler oder Casting-Juror: Seit er Ende der Neunziger erstmals öffentlich in Erscheinung getreten ist, hat Sido viele verschiedene Karrierezweige abgeklappert. Gleichzeitig zieht sich diese Vielseitigkeit auch durch die Diskografie des 1980 in der Hauptstadt geborenen Künstlers, der Hip-Hop in Deutschland mit seinen Labelkollegen von Aggro Berlin kurz nach der Jahrtausendwende maßgeblich geprägt hat.
An dieser Stelle lassen wir Posse-Tracks, Royal TS, Die Sekte, A.i.d.S., Deine Lieblingsrapper und Kollabos mit Bushido oder Kool Savas jedoch außen vor. Stattdessen stimmen wir auf den Release des achten Albums „Ich und keine Maske“ ein und blicken auf die besten Songs aus Sidos umfangreichem Solo-Fundus zurück!
10. „Weihnachtssong“ (von „Aggro Ansage Nr. 3“, 2003)
Nach etlichen Untergrund-Kollaborationen und zwei „Aggro Ansage“-Samplern war Sido zwar berüchtigt, doch erst sein Lied zur Festzeit sollte ihm den Weg zur Berühmtheit ebnen: Mit der wahrscheinlich asozialsten Interpretation von „Jingle Bells“ überhaupt war das maskierte Aggro-Aushängeschild erstmalig mit einem eigenen Video im (damals noch relevanten) Musikfernsehen zu sehen. In Vorbereitung auf sein anstehendes Solodebüt stand Sido im Fokus der Label-Bemühungen und durfte von seiner ganz persönlichen Vorstellung einer besinnlichen Weihnachtszeit schwärmen. Von mehreren Single-Veröffentlichungen – Wham! lassen grüßen – kletterte die erfolgreichste in den Charts bis auf Platz 34.
09. „Endlich Wochenende“ (von „Maske“, 2004)
Paul Würdigs Künstlername ist der Legende nach eine Abkürzung für „Superintelligentes Drogenopfer“. Und kaum ein anderer Song seiner Diskografie unterstreicht das D so dick wie diese skandalumwobene TGIF-Hymne! Wenn Sido mit Egon und Manfred auf Techoparty geht, einem gewissen Mark die Leviten ließt oder schmerzhaft an Bordelltürstehern scheitert, ist an Schlaf und ruhende Unterkiefer nicht zu denken. Die schamlose Schilderung tagelanger Rauschzustände sorgte für eine Indizierung des gesamten „Maske“-Albums durch die BPjM, inspirierte Sido gleichzeitig jedoch zum Namen seiner ersten Buchveröffentlichung: „Ich will mein Lied zurück“.
08. „Schlechtes Vorbild“ (von „Ich“, 2006)
Das Gesetz von Ursache und Wirkung: Der Durchbruch mit „Maske“ bescherte Sido nicht nur Geld und Ruhm, sondern auch die Aufmerksamkeit der Massenmedien. Lieder über das Leben im sozialen Brennpunkt, die Liebe von hinten und lange Nächte im Drogenrausch sorgten im Zusammenspiel mit zügellosen Auftritten schnell für das Bild des „Rüpel-Rappers“, der die Jugend verroht. Mit der dritten Single seines Zweitwerks reagierte Sido direkt auf diese Vorwürfe, indem er ungeniert zu seinem denkbar unspießigen Lebensstil steht und seinen Kritikern die eigene Scheinheiligkeit vor Augen führt. Das von Paul NZA und Marek Pompetzki produzierte Lied mit Toto-Sample erreichte Platz 18 in den Charts!
07. „Hey Du!“ (von „Aggro Berlin“, 2009)
Lange begann die uns bekannte Geschichte von Sido im Märkischen Viertel, seinem Block in Berlin. Dort nahmen er und Die Sekte unmissverständlich lokalpatriotische Zeilen und Songs wie „Westberlin“ auf. Umso überraschender war sein auf dieser von Djorkaeff und Beatzarre produzierten Erfolgs-Single (Platz 4 in den Charts) gemachtes Geständnis: Tatsächlich hat er seine Kindheit in der DDR verbracht, seine Herkunft jedoch über Jahre hinweg aus Scham verschwiegen. Seine Offenheit in Kombination mit der gefühlvollen Hook, die dem Musical „Linie 1“ entliehen ist, etablierten Sido bei einer breiteren Hörerschicht. Zudem gab es nach sechs Nominierungen endlich den ersten Echo für das dazugehörige Video!
06. „Einer dieser Steine“ (von „30-11-80“, 2013)
Sido zufolge ist er auf Mark Forster durch dessen Single „Auf dem Weg“ aufmerksam geworden, weshalb er den Sänger unbedingt als Feature für sein fünftes Studioalbum gewinnen wollte. Gesagt, getan! Ergebnis der Kooperation war die balladeske Pop-Rap-Nummer „Einer dieser Steine“, die den beiden eine Goldene Schallplatte und den vierten Platz der Verkaufscharts eingebracht hat. Nur ein Jahr später trug die gemeinsame Arbeit jedoch noch deutlich dickere Früchte: Mit einem Gastbeitrag auf der Forster-Single „Au revoir“ revanchierte Sido sich und durfte eine rare Diamant-Auszeichnung entgegennehmen. Die gibts für mehr als eine Million verkaufte Exemplare!
05. „Der Himmel soll warten“ (von „MTV Unplugged Live aus’m MV“, 2010)
Eine eigene „MTV Unplugged“-Ausgabe kommt einem Ritterschlag gleich, der lange nur den größten Interpreten der deutschen Musiklandschaft vergönnt war – Grönemeyer, Die Ärzte oder Die Fantastischen Vier sind prominente Beispiele. Sido hingegen wurde als erstem Einzel-Rapper die Ehre zuteil, seine Beats gegen akustische Arrangements einzutauschen! Nicht nur für die Neuinterpretation bewährter Hits griff er dabei auf tatkräftige Unterstützung zurück: Im Fontane-Haus des MV debütierte Adel Tawil (Ich + Ich) an Sidos Seite das zusammen mit Beatzarre und Djorkaeff geschriebene Stück „Der Himmel soll warten“, das als Single bis auf den zweiten Platz vorstoßen konnte.
04. „Fuffies im Club“ (von „Maske“, 2004)
Ihre Mission, sollten Sie sie annehmen: Der vielleicht beste Song, um Scheine durch die Clubluft fliegen zu lassen! Sido sah sich der Aufgabe mit zunehmendem Erfolg gewachsen und lieferte auf „Maske“ nicht nur den unterschätzten Partykracher „Glas hoch“, sondern auch diesen von der „Kobra, übernehmen Sie“-Titelmelodie getragenen Clubklassiker. Dass Harris in beiden Fällen beteiligt war, sollte sich dabei als Vorbote erweisen – wenig später machten er und Siggi als Deine Lieblingsrapper im großen Stil gemeinsame Sache. Während zunächst die lüsterne Dekadenz im Vordergrund steht, werden die Schilderungen am Ende mit Bodenständigkeit konterkariert: In Wirklichkeit ist alles Falschgeld und Sido selbst hat „keine 50 Cent“.
03. „Bilder im Kopf“ (von „#Beste“, 2012)
Nach fast anderthalb fleißigen Jahrzehnten im Geschäft ist ein Best of-Sampler nur legitim. Insbesondere, wenn man die Zusammenstellung nicht einfach in die Hände des Labels legt: Für „#Beste“ hat Sido höchstpersönlich die Favoriten seines Schaffens als Solokünstler zusammengestellt. Eine Handvoll neuer Tracks gab es obendrauf, von denen „Bilder im Kopf“ sogar zur bis dahin erfolgreichsten Single des Berliners avancierte! Im Platin-veredelten Lied lässt er, passend zum Anlass, die Meilensteine seines Lebens Revue passieren – von der Kindheit im Osten über die Anfänge im MV bis hin zum Chillen im Loft teilt Sido seine prägenden Erinnerungen.
02. „Astronaut“ (von „VI“, 2015)
Sidos bisher größter Hit als hauptverantwortlicher Solo-Interpret hat sich selbstverständlich eine prominente Platzierung verdient! Für den Berliner zahlte sich bei der Entstehung von „Astronaut“ eine Freundschaft aus, die er einst mit einem damals noch gänzlich unbekannten Popsänger geschlossen hatte: Andreas Bourani. Einige Jahre später war dieser durch „Auf uns“ und eine Musikshow im Fernsehen der Star der Stunde, wodurch er tatkräftige Schützenhilfe auf dem Weg an die Chartspitze lieferte. Textlich behandelt die von Paul NZA, Marek Pompetzki und Cecil Remmler produzierte Nummer den nachdenklichen Blick auf die Erde von ganz, ganz oben – so war Sido zufolge auch der deutsche Raumfahrer Alexander Gerst eine Inspirationsquelle.
01. „Mein Block (Beathoavenz RMX)“ (von „Aggro Ansage Nr. 3“, 2003)
Andere Singles aus Sidos bisherigem Gesamtwerk haben sich häufiger verkauft, sind höher gechartet und vor allem regelmäßiger im Radio gelaufen – doch es gilt zu bezweifeln, dass einige von ihnen ohne den wegweisenden Erfolg von „Mein Block“ überhaupt entstanden wären. Während die auf dem Album „Maske“ enthaltene Version von Roe Beardie produziert wurde, sorgte insbesondere der vorab auf dem dritten Labelsampler von Aggro Berlin veröffentlichte Remix der Beathoavenz für rege Aufmerksamkeit: Anschaulich wie nie zuvor schildert Sido seine Sicht auf das Leben im Märkischen Viertel, eine problembelastete Großwohnsiedlung im Berliner Bezirk Reinickendorf. Etage für Etage beschreibt er dabei schonungslos die vor Ort grassierende Drogensucht, Kriminalität oder Perspektivlosigkeit, tut dies jedoch in bisweilen schwarzhumorigem Tonfall und auf einem launigen Beat. Ein Kontrast, der die Augen und Ohren der Massen endgültig auf HipHop aus der Hauptstadt gelenkt hat!
Fazit:
Das war gar nicht so einfach! Immerhin hat Sido im Laufe seiner Karriere verschiedene Geschmäcker bedient, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Während manche Menschen die drogenschwangere Respektlosigkeit alter Tage in Ehren halten, fühlen sich andere von der expliziten Frühphase regelrecht abgestoßen. Dem gegenüber dürften die poppigen Hits der jüngeren Jahre eher schlechte Karten bei Rap-Fans der ersten Stunde haben. Ob nun „Mein Block“, „Astronaut“ oder doch ein ganz anderer der beste Song von Sido ist, hängt womöglich also schlicht vom ersten Berührungspunkt ab. Wir haben uns bei der Zusammenstellung nur lose an Verkaufszahlen orientiert und stattdessen um einen bunten Mix aus damals und heute bemüht!