Seien wir ehrlich: Bücher über das Erwachsenwerden sind zeitlos, und es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, eine emotionale Verbindung herzustellen. Manchmal ist die Hauptfigur einfach so real, dass man sein jüngeres Ich in ihrer Persönlichkeit wiedererkennt. In anderen Fällen ist es die Erfahrung, die man gemacht hat, oder man kennt jemanden, dem es so ergangen ist, und es trifft einen mitten ins Herz. Es können Ähnlichkeiten in der Familiendynamik sein, wo man vielleicht erkennt, dass die Erwachsenen keine Ahnung haben, was sie tun. Meistens ist es einfach nur der Kampf; das Erwachsenwerden kann auf seine eigene Weise seltsam und fantastisch und stressig und erschreckend sein. Also Achtung Erwachsene, die erwachsen werden und Kinder und Jugendliche, die erwachsen werden – ihr seid nicht allein.
In dieser Liste stellen wir euch die besten Coming-of-Age Romane vor, die man unbedingt gelesen haben muss!
1. 4 3 2 1 von Paul Auster
Archie Ferguson wird erwachsen, und das gleich viermal. Paul Auster wagt in diesem Wälzer ein faszinierendes Gedankenexperiment: Wie gestaltet sich die Biografie eines Menschen in seinen prägendsten Jahren unter jeweils verschiedenen Voraussetzungen? Und so versammelt er in diesem Roman vier Biografien ein und desselben jungen Mannes bis in seine frühen Zwanziger. Einmal stirbt Fergusons Vater, einmal lassen sich seine Eltern scheiden, einmal führen sie eine glückliche Ehe,… und Ferguson wird viermal zu einem jeweils anderen Erwachsenen, einmal heterosexuell, einmal homosexuell, einmal Künstler, einmal Journalist. Auster stellt die Frage: Was ist es, was unseren Charakter und unsere scheinbar so identitätsstiftenden Ansichten prägt? Die Antwort ist komplex, aber eines ist gewiss: Die kleinen Zufälle und kontingenten Dinge tun es mindestens ebenso sehr wie die großen Ereignisse in unserem Leben.
2. Wer die Nachtigall stört von Harper Lee
Die Ich-Erzählerin Scout und ihr Bruder Jem haben wahrscheinlich den ungewöhnlichsten Vater in ganz Alabama. Atticus Finch ist Anwalt und seine Integrität ist das einzige, was er sich unter keinen Umständen nehmen lässt. Als ein junger Schwarzer einer Vergewaltigung bezichtigt wird und Atticus die Verteidigung übernimmt, lernt Scout am eigenen Leib, was es bedeutet, Anstand und Rückgrat zu zeigen – oder eben nicht.
Sie und Jem machen ihre Erfahrungen mit der Niederträchtigkeit und dem überraschenden Edelmut des Menschen, und zwar an Orten, an denen sie keines von beidem vermutet hätten. Harper Lees erstes und fast einziger Roman erzählt auf bis dato völlig neue Weise davon, was es heißt ein Kind zu sein, und greift daneben auf sehr überzeugende Weise das Thema des Rassismus in den USA auf.
3. Abbitte von Ian McEwan
Briony ist Schriftstellerin – das ist die Identität wie auch das Verhängnis der 13-Jährigen. Auf dem Landsitz ihrer Eltern beobachtet sie an einem heißen Sommertag zwei ihr unverständliche Szenen, und malt sich eine wüste Geschichte dazu aus. Das bleibt nicht ohne Folgen, und die Leidtragenden sind zwei junge Liebende: Brionys Schwester Cecilia und Robbie, der Gärtner. Fünf Jahre später ist Robbie als Soldat in Nordfrankreich stationiert und es bleibt unklar, ob er seine Geliebte je wieder sehen wird. Briony indes ist erwachsen geworden und wird von Schuldgefühlen geplagt. Es wird klar: Der Verlust der kindlichen Unschuld ist nie mehr rückgängig zu machen, auch nicht in einer Geschichte.
Der große englische Romancier befasst sich mit der Ethik des Erzählens, und zwar mit viel Sympathie für seine jugendliche Antiheldin.
4. Beale Street Blues von James Baldwin
Tish muss Fonny durch eine Glasscheibe betrachten. Die Glasscheibe wird zur Metapher für ein ganzes Lebensgefühl, denn sie sehnt sich nach Fonnys Nähe und Berührung und doch bleibt er ungreifbar. Fonny ist Tishs Geliebter, ihr Zukünftiger und der Vater ihres ungeborenen Kindes. Er ist aber auch ein Gefangener in Harlems größtem Zuchthaus – angeklagt für eine Vergewaltigung, die er nicht begangen hat, als Stereotype des schwarzen Amerikaners. Die neunzehnjährige Tish fürchtet um ihre gemeinsame Zukunft und ihr Kind und erzählt so nach und nach ihre gemeinsame Geschichte. Ihre manchmal fast naive Weisheit passt viel eher zur Lebenserfahrung einer viel älteren Frau, aber in den amerikanischen Großstädten der 1970er Jahre bleibt den jungen AfroamerikanerInnen wenig erspart – das hatte Ausnahmekünstler James Baldwin am eigenen Leib erfahren. Ein Ausnahmekünstler ist auch der sensible Fonny, den das Gefängnis nach und nach zu einem Erwachsenen macht.
5. Naokos Lächeln von Haruki Murakami
Unter Murakamis Romanen ist diese komplizierte Liebesgeschichte ein sehr realistischer. Tōru studiert im Tokio der 1960er Jahre. Seine Beziehung zur fragilen, psychisch kranken Naoko, die in einem naturnahen Sanatorium lebt, ist der Kontrapunkt zu seinem aufregenden Leben in der Großstadt. Die freigeistige Midori ist die zweite Frau in Tōrus Leben und beide, sie und Naoko, tragen zu seiner Identitätsfindung bei. Eine tragende Rolle spiele außerdem Musik, Literatur, Philosophie, Pornografie und die Alltagskultur im sich ständig verändernden Tokio.
Ein atmosphärischer, auch witziger und unterhaltsamer Roman, der verdeutlicht: Der Schmerz gehört nicht zum Erwachsenwerden dazu, er setzt es überhaupt erst in Gang und verändert uns auf eine Weise, wie das sonst nichts vermag.
6. Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger
Dieser Prototyp des Coming-of-Age-Romans ist heute noch genauso erfrischend wie vor 70 Jahren. Das bedeutet zwar nicht, dass der Protagonist Holden Caulfield nicht auch ein wenig nerven würde, aber er tut es auf respektlose, souveräne Art und Weise, und genau darin liegt die Schlagkraft dieses skandalträchtigen Romans. Niemand hat vor Salinger der Adoleszenz einen so realistischen und zugleich so liebevollen Text gewidmet. Holden, der als Schulversager und psychiatrisch auffällig gilt, zeigt sich als ein fluchender, lesender, ständig flunkernder und ständig suchender 16-Jähriger. Wonach er sucht? Nach authentischem Kontakt und einem Leben jenseits der Verlogenheit der Erwachsenen. Seine einzige echte Gesprächspartnerin ist seine kleine Schwester Phoebe, die ihn erst darüber aufklären muss, dass er das Lied vom „Fänger im Roggen“ wohl gründlich missverstanden hat. Aber dieses Missverständnis ist so charmant, so wunderbar, dass Holden Caulfield bis heute dafür geliebt wird.
7. Little Women von Louisa May Alcott
Ungewöhnlich ist nicht die Tatsache, dass vier Schwestern auf die tollsten Ideen kommen, wenn sie lange genug alleine sind: Zum Beispiel Theater spielen oder Romane schreiben. Ungewöhnlich ist aber das weltoffene, intellektuelle Umfeld, in dem Meg, Jo, Beth und Amy aufwachsen. Concord, Massachusetts ist der Schauplatz dieser wechselhaften Geschichte, in der die vier Mädchen langsam zu sich finden und dabei erwachsen werden (und nicht umgekehrt). Es ist die burschikose Jo, die am liebsten gar nicht heiraten würde und stattdessen immer nur schreiben will, die als Alter Ego von Louisa May Alcott gelten darf.
Ein großer Roman mit feministischen Anklängen, voll von erheiternden Konversationen, hochtrabenden Ideen – und natürlich tiefer Schwesternliebe.
8. Kitchen von Banana Yoshimoto
Banana Yoshimoto ist die Meisterin der zarten Zwischentöne, die es schafft, einem modernen, großstädtischen Milieu stets etwas Mystisches und Übernatürliches zu verleihen. Wie in so vielen ihrer Geschichten geht es auch in „Kitchen“ sehr viel um den Tod und die Frage nach der Zugehörigkeit, die er so unweigerlich aufwirft. Mikage findet ihren Platz nach dem Tod ihrer Großmutter, der letzten Verwandten, nur langsam wieder, doch es ist klar, dass er in der Nähe einer Küche liegen muss. Mikage kocht nämlich leidenschaftlich gerne und kann so ihre unwahrscheinliche kleine Wohngemeinschaft zusammenhalten – bis sie aufs Neue mit dem Tod konfrontiert wird. Inmitten all ihrer Verlorenheit eröffnet sich Mikage eine innere Kraftquelle, die es ihr ermöglicht, weiterzumachen und weiterzulieben.
9. The Hate U Give von Angie Thomas
Die 17-jährige Starr lebt im Ghetto, aber ihr Leben ist geprägt vom Wunsch ihrer Eltern, ihr und ihren Brüdern ein besseres Leben zu bieten. Deshalb gibt es zwei Starrs: Die, die in die Schule mit all den weißen Kindern geht, und die, die einfach so ist, wie sie ist. Ihr Doppelleben wird brüchig, als sie direkt miterlebt, wie ihr alter Freund Khalil von einem Polizisten erschossen wird. Starr muss sich entscheiden, ob sie auch diesmal ruhig und angepasst bleibt oder ob sie den Mund aufmacht für Gerechtigkeit und für die Menschen, die sie liebt. Mit der Unterstützung ihrer ausgesprochen starken und schön porträtierten Eltern schafft es Starr, ihren Weg zu gehen und mit allem ihrem Schmerz und ihrer Wut in zwei Welten zu Hause zu sein.
Ein kluges, authentisches Buch, das mit dem Tod von George Floyd und dem Erstarken der Black-Lives-Matter-Bewegung noch einmal deutlich an Brisanz gewonnen hat.
10. Der Krieg der Knöpfe von Louis Pergaud
Wieso der Mythos des „Kriegs der Knöpfe“ auch über 100 Jahre nach seinem Erscheinen durch die Köpfe und Kinos spukt? Vermutlich, weil man das ungestörte Zusammenleben von Kindern gar nicht so gut erfinden kann. Der Louis Pergaud hat in seinem bekanntesten Roman seine Kindheit in einem Dorf in der Bourgogne zu Ende des 19. Jahrhunderts verarbeitet. Der Titel „Krieg der Knöpfe“ bringt den Kontrast zwischen dem bitteren Ernst, mit dem sich die Jungen zweier benachbarter Dörfer gegenseitig bekämpfen, und der Leichtigkeit kindlichen Spiels auf den Punkt. Die Jungen leben dabei zunächst unbehelligt von Eltern und Lehrern und erfinden ganz eigene Regeln des Zusammenlebens. Die namensgebende Praxis beruht auf dem Prinzip, den Gefangenen aus dem Nachbardorf die Knöpfe von der Kleidung abzutrennen. Der Roman wirft damit auch die Frage nach dem politischen Status von Kindern auf, denn die Art, wie im „Krieg der Knöpfe“ diskutiert und gehandelt wird, ist geradezu unverschämt souverän. Lebrac, der charismatische Anführer der Jungen aus Longeverne ist sich zumindest sicher, dass Kinder ohne erwachsene Aufsicht am besten dran sind – zu dumm nur, dass er irgendwann selbst erwachsen, und damit „dämlich“ werden muss.
11. Eine für Vier von Ann Brashares
Diese fünfbändige Odyssee durch die Innenwelt vier junger Frauen aus Washington D.C. ist leider viel weniger bekannt als die gleichnamigen Filme, die ihr nicht annähernd gerecht werden. Carmen, Bridget, Lena und Tibby sind sehr verschieden und doch Freundinnen seit der Zeit vor ihrer Geburt. Eine unwahrscheinliche Entdeckung – eine Jeans, die ihnen allen vieren passt und neues Selbstbewusstsein verleiht – soll ihnen helfen, einen Sommer lang auch ohne die anderen zurechtzukommen. Und so verlieren und finden sich die vier immer wieder aufs Neue, und nicht ohne dabei eine ganze Menge zu lernen.
Es geht um die Idee der Freundschaft und darum, wie gelebte Freundschaft aussehen kann oder soll. Den vier Mädchen bleiben die Schmerzen des Lebens nicht erspart – konfrontiert mit dem Tod, der ersten Liebe und der großen Unsicherheit des Erwachsenwerdens. Aber sie bleiben sich und der Jeans treu und wachsen zu starken jungen Frauen heran.
Ungewöhnlich an Anne Brashares Prosa sind die erfrischende Intelligenz und der leichtfüßige Tiefgang, der völlig ohne Klischees auskommt. Auch hochspannend für alle, die weder weiblich noch unter zwanzig sind.
12. A Clockwork Orange von Anthony Burgess
Zwar dem Inhalt nach eine Coming-of-Age-Geschichte ist Uhrwerk Orange nichts für schwache Nerven. Anthony Burgess imaginiert einen dystopische Gesellschaft, die halb-totalitär regiert wird. Die politische Prekarität spiegelt sich im Verhalten einer jugendlichen Gang, die sich die Zeit mit extrem gewalttätigen Angriffen auf zufällige Opfer vertreibt. Unter Drogeneinfluss verprügeln, vergewaltigen und töten Alex und seine Freunde willkürlich. Der intelligente Musikliebhaber Alex wird schließlich verhaftet und im Zuge seiner Haft einer Prozedur unterzogen, in der er zum moralisch Guten konditioniert wird. Burgess wirft dabei die dringliche ethische Frage auf, ob Freiheit (und damit auch die Möglichkeit zum Bösen) dieser Konditionierung nicht vorzuziehen ist. Alex selbst wird zwar von einer Gruppe von pazifistischen Widerständigen aufgenommen, erleidet aber einen Rückfall in die Gewalttätigkeit – bis er ihr im Laufe des Erwachsenwerdens von sich aus abschwört. Für Burgess ist also klar: Der Mensch kann von sich aus besser, wenn auch nicht gut werden. Starker Tobak, den seine lebendige Slangsprache und die Verwendung einer vom Russischen inspirierten Geheimsprache auch auch zu einem durchaus unterhaltsamen Lesevergnügen macht.
13. Die Schwestern-Selbstmorde von Jeffrey Eugenides
Jeffrey Eugenides, der später mit Middlesex einen weiteren großen Coming-of-Age-Roman über Transsexualität geschrieben hat, widmete sich in seinem Debüt der amerikanischen Kleinstadt. Die jungen Männer von Grosse Pointe beobachten mit Faszination die fünf schönen Lisbon-Schwestern, die von ihren Eltern zu einem sehr hermetischen Lebens angehalten werden. Als die jüngste Tochter Cecilia bei ihrem zweiten Selbstmordversuch stirbt, werden die verbleibenden Schwestern noch stärker abgesondert und kontrolliert. Die Jungen beobachten das Geschehen von außen und nehmen laufend mehr Kontakt zu den Lisbon-Mädchen auf. Trotzdem bleiben die fünf bis zu einem sehr bitteren Ende stets geheimnisvoll und undurchschaubar.
Von unleugbarer literarischer Qualität ist dieser kluge und vielschichtige Roman auch eine äußerst seltsame Liebesgeschichte.
14. Die Abenteuer des Huckleberry Finn von Mark Twain
Es ist etwas an diesem Huck Finn, das die Leserschaft von Anfang an begeistert hat und es bis heute tut. Gewiss ist Mark Twains Roman eines der
meistgelesenen Jugendbücher der Welt. Twain hat es nicht nur mit viel Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt des jungen Huck geschrieben, sondern auch mit einer authentischen, dialektal gefärbten Stimme. Hucks Witz, sein Abenteuergeist und sein Sinn für Gerechtigkeit waren prägend für die Entwicklung der Jugendliteratur und dürfen außerdem als zeitgenössische Stimme gegen Rassismus und Segregation gelesen werden. Die intelligenten Beobachtungen des Jungen haben fast satirischen Charakter und die Sozialkritik, die Mark Twain formulieren wollte, hat eine kindliche und doch scharfsinnige Note, die mit die literarische Qualität des Romans ausmacht.
15. Die Outsider von Susan E. Hinton
Die Outsider ist wirklich und im echten Sinne Jugendliteratur, denn Susan E. Hinton war selbst erst 16, als sie den Roman schrieb. Diese Perspektive ist einzigartig und sucht bis dahin ihresgleichen in der Literatur. Die Sichtweise des Protagonisten Ponyboy, der zur Gang der “Greaser” gehört, die die bessergestellten “Socs” bekämpfen, zeigt auf: Auch in seinen Jugendjahren ist der Mensch ein vielschichtiges Wesen, das sich der Schublade “Kind” oder “Jugendlicher” entzieht. Ponyboys Freund Johnny wird schon als Teenager zum Mörder an einem Soc. Die Jungen sind das Produkt ihrer problematischen Umwelt, aber sie sind auch viel mehr als das.
Dieses kontroversielle Buch ist jedenfalls eine intelligente und ob der Jugend seiner Autorin sehr gekonnte Darstellung des komplexen Innenlebens eines jungen Menschen in schwierigen Lebensbedingungen.
16. Meine geniale Freundin von Elena Ferrante
Lila und Elena verbindet ihre Intelligenz und der Wunsch, über den Tellerrand des Rione hinauszublicken – des ärmlichen Stadtviertels von Neapel, in dem die beiden Mädchen 1944 geboren wurden. Doch während die Ich-Erzählerin Elena überzeugt davon ist, Lila sei viel genialer als sie, ist sie es am Ende selbst, die sich emanzipieren kann und durch ihre Gymnasialbildung den Weg in ein besseres Leben findet. Die eigensinnige, renitente Lila bleibt unfrei und trotzdem unangepasst in einer Welt, in der eine Frau andauernd der Willkür von Männern ausgesetzt ist. Schwierig ist diese Freundschaft, und doch bleibt sie für beide, Lila und Elena, eine Quelle der Kraft und der Beständigkeit – auch in den anderen drei Bänden dieser fulminantem Tetralogie, die dem Erwachsenwerden und dem Lebensweg dieser beiden ungewöhnlichen Frauen folgt.
Elena Ferrante wurde vor allem für ihre fesselnde und doch vielschichtige Erzählweise gelobt und Meine geniale Freundin lässt auch jungen LeserInnen jede Menge Deutungsspielraum.
17. Blauer Hibiskus von Chimamanda Ngozi Adichie
Die Verwirrung, die die junge Kambili verspürt, spiegelt die Verwirrung der jungen Nation Nigeria. Gebeutelt von der gewalttätigen Herrschaft ihres erzkatholischen Vaters weiß Kambili nicht, dass ihr auch ein freieres Leben möglich wäre. Erst als sie und ihr Bruder Jaja einige Zeit bei ihrer liberalen Tante verbringen und erleben, um wie viel größer das Glück und der Selbstwert ihrer Cousins und ihrer Cousine sind, verändert sich Kambilis Perspektive. Sie verliebt sich in den jungen Priester Amadi und erlebt eine ganz andere Art der Männlichkeit, von der sie sich nicht unterdrückt, sondern beflügelt fühlt. Die langsame emotionale Emanzipation von ihrem Vater ist wunderschön und mit schmerzhafter Präzision gezeichnet. Kambili findet langsam zu einer Identität, die ihre Wurzeln in der Yoruba-Kultur nicht leugnet und zugleich aufgeschlossen ist für das Neue und Moderne. Eine wunderbare Perspektive für das postkoloniale Nigeria und für jede Leserin und jeden Leser, die/der sich mit Kambilis Unsicherheit identifizieren kann.
18. Die größere Hoffnung von Ilse Aichinger
In der Welt, in der Ellen lebt, ist die gewöhnliche Hoffnung machtlos. Es braucht eine größere Hoffnung, die dem Leid Ellens und aller vom Nationalsozialismus Verfolgten etwas entgegensetzen kann. Für Ilse Aichinger hat diese Hoffnung mit dem mahnenden Beispiel der Opfer zu tun, aber auch mit dem Versuch, dem Regelwerk von Gewalt und Verfolgung überhaupt zu entgehen. In „Die größere Hoffnung“ sind es allein die Kinder, die noch auf eine bessere Welt hoffen. Ellen schreibt sich ihr eigenes Visum und verziert es mit Blumen, aber für die Ausreise reicht es nicht. Sie entgeht zwar der Deportation, aber der Logik des Krieges kann sie sich nicht entziehen. Der Verlust der Kindheit ist für Ilse Aichinger der Punkt, an dem das Leiden unerträglich wird. Sie setzt sich also auf sehr existenzielle Weise mit der Frage nach dem Erwachsenwerden auseinander.
Für junge LeserInnen könnte dieser Roman eine erste Hinführung zu wirklich großer Literatur und einem sehr ernsten Spiel mit der Sprache sein.
19. Orangen sind nicht die einzige Frucht von Jeannette Winterson
Dieser autobiographische Roman handelt vom Aufwachsen eines jungen Mädchens in einer Pfingstgemeinde. Jeannette, die eigentlich adoptiert ist, geht zunächst gar nicht zur Schule. Sie lernt anhand der Bibel lesen und schreiben. Als sie dann doch zur Schule geschickt wird, ist sie dort eine Außenseiterin. Zur Außenseiterin wird sie aber auch in ihrer Gemeinde, weil sie eine Beziehung mit einem anderen Mädchen beginnt.
Mit großer Abgeklärtheit und ihrer ganz eigenen Weisheit erzählt Winterson vom Weg zu sich selbst und von ihrem unverbrüchlichen Glauben an die romantische Liebe und daran, dass diese auch zwischen zwei Frauen sein darf.
20. Foxfire von Joyce Carol Oates
Die große amerikanische Romanautorin hat der Jugendliteratur ein neues, kluges und anspruchsvolles Gesicht gegeben. Foxfire ist das spannende Gedankenexperiment einer Mädchengang. Die Astronomin Maddy erinnert sich an ihre Jugend in den 1950er Jahren, in der sie zunächst mit drei anderen Mädchen die Gang „Foxfire“ gründet. Sie orientieren sich nur der Idee nach an männlichen Gangs, machen aber ihr ganz eigenes Ding. Maddy, die damals noch „Legs“ genannt wurde, geht es um weibliche Solidarität, Freiheit und Geschlechtergerechtigkeit – und dafür schreckt sie auch nicht vor Demütigung und Diebstahl zurück. Legs landet schließlich in einer Besserungsanstalt. Das Erwachsenwerden macht ihre Bemühungen zu einer brüchigen Angelegenheit, bestärkt sie aber auch in ihren starken Ansichten.
Die Plätze 21-73 der besten Coming-of-Age Romane:
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